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SSRQ ZH NF I/1/3 162-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), par Michael Schaffner

Citation : SSRQ ZH NF I/1/3 162-1

Licence : CC BY-NC-SA

Eid und Ordnung der Hebammen der Stadt Zürich

1536.

Die Hebammen sollen schwören, ihr Amt sorgfältig auszuüben, innerhalb der Stadt sowie im Gebiet vor den Stadtmauern die gebärenden Frauen zu jeder Tages- und Nachtzeit aufzusuchen, ohne Unterschied der Person, und die gebärenden Frauen nicht wieder zu verlassen, bis die Arbeit verrichtet ist, es sei denn, es geschehe mit Einwilligung der Gebärenden und ohne Gefahr (1). Hebammen müssen zu einer Geburt mindestens zwei Frauen als Gehilfinnen mitbringen. Sofern diese nicht bereits zur Stelle sind, soll sie sie herbeirufen lassen (2). Sie sollen Frauen in ihren Wehen nicht zur Geburt drängen, es sei denn, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, und dabei keine Eile an den Tag legen, wodurch Schaden entstehen könnte (3). Nach der Entbindung soll die Hebamme die Nabelschnur nicht ohne vorgehende Anheftung durchschneiden und, sobald die Nachgeburt geschehen ist, die Plazenta vergraben oder verbrennen, damit daraus kein Schaden entsteht (4). Hebammen dürfen die Nottaufe nur dann vornehmen, wenn das Kind anfänglich lebt und es dringend notwendig ist. Dazu sollen sie bei den Leutpriestern unterweisen lassen (5). Sie sollen weder die Frau noch das Kind oder die Nachgeburt so anfassen, dass daraus Schaden entstehen könnte (6). Sofern es notwendig ist, dass eine zweite Hebamme herbeigerufen werden muss, soll die erste Hebamme der zweiten gegenüber nicht unwillig sein, sondern gemeinsam mit dieser das Beste tun (7). Als Lohn sollen sie von einer Frau, die der Gesellschaft zum Rüden angehört, 10 Schilling fordern, von einer, die Mitglied der Gesellschaft zum Schneggen ist, fünf Schilling, von allen anderen Frauen für die erste Geburt fünf Schilling und für die weiteren drei Schilling und vier Pfennig, für jedes uneheliche Kind fünf Schilling. Den Wöchnerinnen bleibt es überlassen, die Hebammen höher zu entlohnen. Zusätzlich erhalten die Hebammen von der Stadt das jährliche Fronfastengeld (8). Sofern Hebammen an einem Neugeborenen verdächtige Missbildungen oder Krankheiten entdecken, haben sie dies dem obersten Stadtknecht zu melden. Hebammen sollen die Stadt und die Wachten vor den Toren ohne Erlaubnis des Bürgermeisters nicht verlassen (9). Diesen Eid soll der Stadtarzt den Hebammen anlässlich ihres Amtsantritts und anschliessend jährlich abnehmen.

Der vorliegende Eid wurde um das Jahr 1536 in das Satzungsbuch der Stadt ZürichLieu : eingetragen. Dies ergibt sich aus der direkt im Anschluss folgenden, datierten Besoldungsordnung, die von derselben Hand stammt (SSRQ ZH NF I/1/3 164-1). Es existiert zudem ein Entwurf des Eides aus den Jahren 1516-1518, jedoch fehlen dort die Abschnitte 8-9 (StAZH A 43.1.5, Nr. 2, S. 38). Nachträglich ausser Kraft gesetzt wurde der Abschnitt betreffend die durch Hebammen vorgenommenen Nottaufen (vgl. dazu den Vermerk «Abkent» in der vorliegenden Aufzeichnung). Das Gschau-Buch von 1703 enthält den Eid in einer überarbeiteten Form, wobei die Nottaufe nicht mehr erwähnt wird (StAZH H I 321, S. 4-5). Die ebenfalls dort befindliche, überarbeitete Abschrift der Besoldungsordnung vom 12. April 1536 untersagt die Nottaufe sogar ausdrücklich mit dem Hinweis darauf, dass nach reformierter Lehre auch die ungetauften Kinder in der Gnade Gottes stünden (StAZH H I 321, S. 6-7). In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erwähnen, dass Nottaufen insbesondere auf der ZürcherLieu : Landschaft mindestens noch bis Ende des 16. Jahrhunderts durch Hebammen praktiziert und von der Obrigkeit stillschweigend geduldet wurden (speziell zu ZürichLieu : vgl. Hollenweger 1987, S. 19-21; allgemein zur Nottaufe vgl. Labouvie 1998, S. 171-176).

Zu den Hebammen auf der ZürcherLieu : Landschaft vgl. das diesbezügliche gedruckte Mandat des Jahres 1782 (SSRQ ZH NF I/1/11 88-1); allgemein zur Ausbildung der Hebammen während der Frühen Neuzeit vgl. Labouvie 1996.

Texte édité


Der hebamman eyd, den sy sollent schweren unnd lobenn


Unnser statt hebammen sollennt gelobenn unnd schwerenn, irem ampt getrüwlich zuͦwartenn unnd
zuͦ den lütten zegannd, so sy erfordrott, es sye tagsPériode : le jour oder
nachtsPériode : la nuit, innerthalb der statt oder an der nehy vor den
thorenn, inn den wachtenn, zuͦ dem armen alls zuͦ dem
rychenn unnd zuͦ dem rychenn alls zuͦ dem armen,
unnd daselbs das best unnd wegst zethuͦnd unnd von
niemannds zegannd, zuͦ dem sy des erst erfordrott sind,
bis das die sach hinüber kompt, es beschehe dann mit guͦttem willenn unnd erloubenn unnd sy ouch selbs beduncke, das es on nott unnd sorg muge beschehenn.

Unnd so sy erfordrott werdennt zuͦ froͧwen, die inn kinds
nöttenn stannd, söllennt sy habenn by inen zuͦ dem
minsten zwoQuantité : 2 froͧwenn unnd, ob sy nit da werint, die
beschickennt.

Sy söllennt ouch kein froͧwenn nöttenn zuͦ der arbeit,
es syennt dann da die recht zytt unnd kinds wee, und
an keinem ortt ylenn, damit sy daselbs gerech werdinnt
unnd annderschwohin komint, dardurch sich die purtt
möchte verkerenn oder annderer schad beschehen.

Ouch söllennd sy, so ein frouw genißd, das gerttenn näbeli
nit abschnydenn, sy habint es dann vorgehefft unnd
versächenn, das es inen nitt müge entrünnen unnd
so die annder purt beschicht, das püscheli vergrabenn oder
verbrennen, damit desshalb kein schad beschäch.1

a
b–Darzuͦ söllennt sy kein kind gach touffenn, es habe dann das
läbenn unnd erfordere das die notturfft, unnd by iren [fol. 104v]Saut de page
lütpriesternn unnderricht nämenn, wie sy söllennt
touffenn, damit das recht bescheche.
Souligné d’une main plus récente
–b

Sy sollennt ouch zuͦ keiner froͧwenn, es sye zuͦ dem kind
oder zu der anndern geburtt, dermaßenn gryffenn, das
dem kind noch der froͧwenn davon kein schad beschech.2

Ob ouch die notturfft erforderte, das man zuͦ der hebamman
einer noch einanndre hebamm zuͦ der erstenn beschickte, sol
ir enkeine deßhalb gegen der anndren keinen unwillen
habenn, sonnder söllennt sy beyd, die erst unnd annder,
einanndrenn hellffenn unnd rattenn das best unnd
wegst, das der frouwenn inn denn nöttenn unnd dem kind
inn der geburt zuͦ guͦttem mag erschiessen.

Die hebammen sollennt ouch irenn rechtenn lon nämmenn,
namlich von einer RüdennOrganisation : frowenn x Unité monétaire : 10 sous/sols , von einer
SchneggennOrganisation : froͧwenn v Unité monétaire : 5 sous/sols , von anndern froͧwenn von yeder von dem erstenn kind v Unité monétaire : 5 sous/sols unnd demnach von anndern
kindenn iij Unité monétaire : 3 sous/sols iiij ₰Unité monétaire : 4 deniers unnd von uneelichen kinden von
yedem allweg v Unité monétaire : 5 sous/sols , das sye inn der statt oder darvor, unnd
darzuͦ ir fronvastenn geltt von der statt unnd nitt me,
eins gebe inen dann guͦtts willenns mer.

Unnd sunst, so sollennt ouch die hebammen guͦtt sorg haben
unnd das best thuͦn für sich selbs unnd mitt ratt annderer froͧwenn, die by inen sind. Unnd ob sy fundint
mangell, schad oder gebrästenn an den geburttenn, das
argwenig were, dasselbig zeleydenn einem obristenn statt
knecht unnd nit von der statt unnd ussert den wachtenn
zegannd, on erloupnuss eins burgermeysters, alles gtrüwlich unnd on alle geferd.
[fol. 105r]Saut de page

Unnd disen eyd oder glüpnuß sol unnser statt artzett
jerlichsDurée répétée : 1 année unnd so eine von erst zuͦ hebammen wirt genommen von inen nemmen, damit dem statt bescheche.

Annotations

  1. Ajout dans la marge de droite d’une main plus récente : Abkent.
  2. Souligné d’une main plus récente .
  1. Zur besonderen symbolischen Bedeutung der Plazenta («püscheli») vgl. Labouvie 1998, S. 126-127.
  2. Zur weit verbreiteten Befürchtung, dass von einem verfrühten Betasten («gryffenn») insbesondere der inneren Geburtsorgane durch die Hebamme Schaden ausgehen könnte, vgl. Labouvie 1998, S. 117.