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SSRQ ZH NF I/2/1 73-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Zweite Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur. Band 1: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur I, par Bettina Fürderer

Citation : SSRQ ZH NF I/2/1 73-1

Licence : CC BY-NC-SA

Urfehde des Hans Modrer und des Götz Gengenbach wegen unbefugten Zutritts zur Stadt Winterthur

1442 juin 25.

Der Schultheiss von Winterthur Heinrich Zingg beurkundet die Urfehde der beiden Schuhmacher Hans Modrer von Winterthur und Götz Gengenbach von Stockach, die in Haft waren, weil sie sich während einer Bürgerversammlung über den Burggraben Zutritt in die verschlossene Stadt verschafft hatten. Obwohl sie sich schuldig bekannten, wurden sie aufgrund der Gnadenbitten ehrbarer Leute nicht vor Gericht gestellt. Binnen acht Tagen sollen sie sich für ein halbes Jahr in die Verbannung über den Rhein begeben, sofern nicht Schultheiss und Rat ihnen die Erlaubnis zur Rückkehr geben. Forderungen an die Stadt sollen sie in Konstanz, Rapperswil oder Wil gerichtlich austragen. Ansprüche an einzelne Bürger oder Bürgerinnen, seien diese geistlichen oder weltlichen Standes, in der Stadt oder ausserhalb ansässig, sollen sie gerichtlich in Winterthur verfolgen oder an der Stelle, wohin sie durch Urteil gewiesen werden. Für die Dauer ihrer Verbannung sollen sie sich durch Boten vertreten lassen. Man hat ihnen zudem ein Bussgeld von jeweils 10 Pfund Haller auferlegt. Der Aussteller siegelt mit seinem Gerichtssiegel, für Modrer und Gengenbach siegelt Hermann von Landenberg von Werdegg.

  • Cote : STAW URK 815
  • Date : 1442 juin 25
  • Tradition : Original
  • Support d’écriture : Pergament
  • Dimensions l × h (cm) : 33.5 × 23.5 (Plica : 4.0 cm)
  • 2 sceaux :
    1. Schultheiss Heinrich ZinggPersonne : , cire, rond, attaché à une lanière en parchemin, bien conservé
    2. Hermann von Landenberg von WerdeggPersonne : , cire, rond, attaché à une lanière en parchemin, bien conservé
  • Langue : allemand

Wie im vorliegenden Fall kam es immer wieder vor, dass Delinquenten, die notorischer oder gravierender Normverletzungen überführt waren, gegen einen Urfehdeeid, verbunden mit der Stadtverweisung oder anderen Auflagen wie Wirtshausverbot und nächtlicher Ausgangssperre oder Waffenverbot, aus der Haft entlassen wurden, beispielsweise Personen, die sich gegen die Obrigkeit aufgelehnt hatten (SSRQ ZH NF I/2/1 154-1; SSRQ ZH NF I/2/1 228-1), die ihre Dienstpflichten verletzt (SSRQ ZH NF I/2/1 70-1; SSRQ ZH NF I/2/1 296-1) und Amtsgeheimnisse verraten hatten (STAW URK 1170b; Edition: Schmid 1934, Anhang Nr. 8, S. 74) oder die sich der Blasphemie (SSRQ ZH NF I/2/1 110-1), der Zauberei (STAW B 2/8, S. 330-331), der Missachtung des gebotenen Friedens (SSRQ ZH NF I/2/1 144-1), des (Falsch-)Spiels (STAW URK 654; SSRQ ZH NF I/2/1 146-1), der Steuerhinterziehung (SSRQ ZH NF I/2/1 289-1), des Diebstahls (SSRQ ZH NF I/2/1 295-1), des Ehebruchs (STAW URK 1767; STAW B 2/6, S. 270) oder des sexuellen Missbrauchs von Kindern (SSRQ ZH NF I/2/1 87-1) schuldig gemacht hatten. Um den Preis der sozialen Isolation entgingen sie auf diese Weise einem Gerichtsverfahren, in welchem sie zu einer Körperstrafe oder zum Tod verurteilt worden wären, vgl. Isenmann 2012, S. 514-515; Schuster 2000, S. 248-249.

Texte édité


Ich, Heinrich ZinggPersonne : , schultheis ze WintterthurLieu : , vergich offenlich mit disem brieff, daz fu̍r mich komen sint in gerichtz
wiß Hans ModrerPersonne : von WintterthurLieu : und Goͤtz GengenbachPersonne : von StokachLieu : , beid schuͦmacher, offnotten da durch iren fuͤrsprechen,
als sy in der statt von WintterthurLieu : vangnu̍zz komen syen von des wegen, als sy sich in derselben statt burggraben gelaͧssen und gangen syen und uss dem burgraben u̍ber in in die statt klummen und gangen zuͦ den ziten, als ir statt
tor beschlossen gewesen und gemein burgerOrganisation : by enander gewesen syen. Dar inne sy wol bekennint, daz sy dar inne unrecht getaͧn habint und daz inen die straͤff ze hoch und ze hertt gangen waͤre. Wan aber nu die von WintterthurLieu : angesechen habint erber, fromer herren und erber lu̍t bett, edler und unedler, und oͧch ir ernstlich bett, daz sy daz naͧch gnaden
und miltekeit vor ab durch gottes willen angesechen, sy nit swarlich an lib noch an gelidern gestraͤfft noch in recht
gestelt haͧnt, also dar umb und daz man sy nit in recht stellen muͤst, wan es inen zeswaͤr gangen waͤr.1
Also dar umb
so wellint sy unbetwungenlich sweren dise naͧchgeschriben stuk zehalten und ze volfuͤren und stuͦnden oͧch also vor mir
ledig, los, ungepunden und ungevangen und swuͦrent da jeklicher einen eid mit uffgehabten handen liblich zuͦ gott und den
heilgen des ersten ein gantz urfech von der sach und vangnu̍z wegen, niemer nyemant sy noch nieman von ir wegen dar umb
vechen, hassen, besweren noch beku̍mbren mit wortten noch mit werchen, mit gerichten noch aͧn gericht, und daz durch nieman
schaffen getaͧn. Und daz sy oͧch by demselben irem geswornen eid nu hin fu̍r wider gemein statt WintterthurLieu : niemer gesin noch
getuͦn sollen, aͧn alle gevaͤrd. Und ob daz waͤre, daz sy beid oder ir deweder zuͦ gemeiner statt gemeinen burgern ze WintterthurLieu : Organisation : jemer
icht, umb waz sach daz waͤr, nicht ussgenomen, zu schaffen hetten ald meyntin zesprechen zehaben, da sont sy sich mit recht benuͦgen
laͧssen in der dryerQuantité : 3 stett einer, CostentzLieu : , RappreswilLieu : oder ze WilLieu : im ThurgoͧwLieu : , wa sy des wellen, und sont da die von WintterthurLieu : gemein burgerOrganisation : nit wyter noch anders ersuͦchen, fu̍rnemen noch beku̍mbren mit gerichten noch aͧn gericht. Sy sont oͧch
also inwendig acht tagenPériode : 8 jours, den nechsten, ungevarlich, komen und gaͧn u̍ber den RynLieu : und inwendig einem halben jaͧrPériode : 6 mois, dem nechsten,
her u̍ber noch in die statt WintterthurLieu : nit komen. Wol haben die von WintterthurLieu : daz inen selber behebt, daz sy inen erloben und daz
stuk endren moͤchtin, ob ein schultheis und ein raͧtOrganisation : woͤlen, alles aͧn gevaͧrd.
Waͤr oͧch sach, daz sy beid oder ir deweder zuͦ deheinem
burger ald burgerin von WintterthurLieu : , frowen ald mannen, geistlichen ald weltlichen lu̍ten, inwendig ald usswendig der statt
sesshafft, jemer icht zesprechen hettin ald gewinnint, umb waz sach daz waͤr, dar umb sont sy allweg recht suͦchen, vordren
und nemen ze WintterthurLieu : und by erkantnu̍z des rechten beliben und niemant anders wyter ersuͦchen noch beku̍mbren mit
gerichten noch aͧn gericht an deheinen enden. Es waͤr denn, daz es umb dehein sach also waͤr, daz es ze WintterthurLieu : mit urteil
anderswa gewist wurdy, dem soͤlten sy aber denn naͧchgaͧn. Und waz sich also machty in dem halben jaͧrPériode : 6 mois, daz soͤlten sy tuͦn durch
ir botten. Aber dannenhin moͤchtin sy selber dar zuͦ keren ald botten senden, als sy daz alles zehalten gesworn und in iren
eid genomen haben, alles aͧn gevaͤrd. Inen ist oͧch uffgeleit ze straͤff der statt zegeben jeklichem zechen pfund hallerUnité monétaire : 10 livres .
Des alles ze
warem, offem urku̍nd, so hab ich, vorgnvorgenannter schultheis, min insigel, so ich bruch von des gerichtz wegen, offenlich gehenkt an disen
brieff. Dar uff so verjechen wir, die egenegenannten Hans ModrerPersonne : und GoͤtzPersonne : von StokachLecture incertaineaLieu : , einer warheit aller vorgeschriben dingen und des zuͦ
rechter und merer gezu̍gnu̍z haben wir beid erbetten den strengen und vesten riter, her Herman von Landenberg von WerdeggPersonne : , u̍nsern
gnedigen herren, daz er sin insigel fu̍r u̍ns offenlich gehenkt haͧt an disen brieff. Daz oͧch ich, derselb von LandenbergPersonne : , also getaͧn hab
von ir beider bett wegen, doch mir und minen erben aͧn schaden.
Geben uff mentag naͧch sant AlbansPersonne : tag, naͧch Cristz gepu̍rt vierzechenhundert jaͧr, dar naͧch in dem zwey und viertzigesten jaͧr etcAbréviationDate : 25.06.1442.
[fol. v]Saut de page
[Note dorsale au verso par une main du XVe siècle :]
Urfecht
[Note dorsale au verso par une main du XVIIIe siècle :]
Hans ModrerPersonne : von WinterthurLieu :
und Gotz GengenbachPersonne : von StockachLieu :
einhalb jahr verbannisirt,
weil sie durch den burggraben
in die statt klummen,
anno 1442 b.

Annotations

  1. Lecture incertaine.
  2. Ajout à la hauteur de la ligne par une main du XIXe siècle : c– 25. BrachmBrachmonatCorrection au-dessous de la ligne, remplace : 5. März–c.
  1. Ein um 1480 verfasster Bericht der Stadt WinterthurLieu : schildert das Begnadigungsverfahren im Fall Konrad StrassersPersonne : , der beschuldigt wurde, Salz unterschlagen zu haben. Schultheiss und beide RäteOrganisation : lehnten wiederholt die Gesuche der Angehörigen um eine Begnadigung ab, verzichteten jedoch zuletzt auf eine Anklage. StrasserPersonne : kam frei und erhielt eine Pfrund im SpitalOrganisation : , wo er offenbar unter Hausarrest stand. Schliesslich bot er an, die Pfrund gegen eine Abschlagssumme aufzugeben und dauerhaft in die Verbannung zu gehen, was beide RäteOrganisation : bewilligten (STAW URK 1589.48). Vgl. zu diesem Fall Niederhäuser 2005, S. 93-95.