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SSRQ ZH NF I/1/11 79-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, par Sandra Reisinger

Citation : SSRQ ZH NF I/1/11 79-1

Licence : CC BY-NC-SA

Mandat der Stadt Zürich betreffend Hilfeleistungspflicht bei Selbstmördern und verunfallten Personen

1778 juillet 22.

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich erlassen aufgrund von Vorurteilen der Landschaftsbewohner gegenüber Verunfallten und Selbstmördern ein Mandat. Verordnet wird, dass ein verunfallter Mensch gemäss der gedruckten Anleitung gerettet werden soll. Alle Helfer und Landchirurgen, die beweisen können, dass sie ertrunkene oder verunfallte Personen gerettet haben, erhalten eine angemessene Belohnung. Die verordneten Herren des Sanitätsrates werden in einem solchen Fall zunächst eine Untersuchung anstellen.

Im 18. Jahrhundert waren in ZürichLieu : viele Menschen der Überzeugung, dass ein Selbstmord durch den Teufel herbeigeführt worden sei. Da ausserdem die Rettung eines Selbstmörders als negativ für die eigene Ehre angesehen wurde, kam es immer wieder zu unterlassenen Hilfeleistungen bei durch Suizid verunglückten Personen. Diese Vorstellungen, die aus obrigkeitlicher Sicht vor allem auf der Landschaft vorherrschend waren, versuchte der Zürcher RatOrganisation : in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu beseitigen. Im Jahre 1766 wurde eine Anleitung gedruckt, in der im ersten Teil detaillierte Anweisungen zur Wiederbelebung von ertrunkenen, erwürgten und erstickten Personen aufgeführt werden. Im zweiten Teil der Anleitung wird darauf hingewiesen, dass Personen, die sich selbst zu töten versuchen, geholfen werden muss. Die Körper von Personen, die sich aus Wahnsinn oder Melancholie getötet haben und nicht weiter als eine Stunde von der Stadt ZürichLieu : entfernt liegen, sollen gemäss der Anleitung zur Sektion ins AnatomiegebäudeLieu : gebracht werden (StAZH III AAb 1.13, Nr. 2).

Trotz der Anleitung kam es weiterhin zu Unterlassungen von Hilfeleistungen bei Selbstmordfällen. Daher beauftragte der Zürcher RatOrganisation : am 29. April 1778 den SanitätsratOrganisation : , einen Bericht zu verfassen, welche Massnahmen ergriffen werden mussten, damit ertrunkene und infolge von Suizid verunfallte Personen künftig gerettet werden könnten. Der Bericht wurde am 13. Juli 1778 in einer Sitzung des SanitätsratsOrganisation : besprochen. Zunächst bestätigte der SanitätsratOrganisation : die Anleitung des Jahres 1766. Damit diese aber künftig wieder in Erinnerung gerufen werde, wurde empfohlen, dass die Anleitung allen Vögten auf der Landschaft zuhanden der Landchirurgen zugestellt sowie von allen Pfarrern ein Mandat von den Kanzeln verlesen werden solle. Ausserdem sollten hilfeleistende Personen eine Entschädigung erhalten, wobei der SanitätsratOrganisation : dies zuvor untersuchen sollte. Zuletzt empfahl der SanitätsratOrganisation : in seinem Bericht, dass die Pfarrer in ihren Predigten, insbesondere wenn das Mandat verlesen würde, die Angehörigen von ihren «unverantwortlichen vorurtheilen und abergläubischen einbildungen» abbringen sollten (StAZH B III 245, S. 185-187).

Der Zürcher RatOrganisation : besprach den Bericht am 22. Juli 1778 und hiess alle Vorschläge gut. Der Antistes Johann Rudolf UlrichPersonne : wurde ausserdem aufgefordert, allen Pfarrern schriftlich mitzuteilen, dass sie das Mandat verlesen sowie in ihren Predigten auf die christliche Pflicht der Rettung verunglückter Menschen hinweisen sollten (StAZH B II 982, S. 34-35).

Zu Selbstmord in ZürichLieu : vgl. HLS, Selbstmord; Schär 1985; Wyss 1796, S. 251-254.

Texte édité


Wir Burgermeister und Rath der Stadt ZuͤrichLieu : Organisation : ,
entbieten allen und jeden Unseren Angehoͤrigen / Unseren gnaͤdigen wohlgeneigten Willen, und darbey zu vernehmen; demnach Wir schon zu verschiedenen
mahlen, und auch erst vor weniger Zeit die traurige Bemerkung zu machen den Anlaas gehabt haben,
daß besonders auf Unserer Landschaft die unverantwortliche Vorurtheile und aberglaͤubische Einbildung,
es waͤre die einem verungluͤckten Menschen, besonders aber die einem Selbst-Moͤrder erzeigende Rettungs-Begierde, der Ehre des Menschenliebenden Retters nachtheilig, so sehr tiefe Wurzel in den Herzen der Unserigen geschlagen, daß einige solch Verohngluͤckter, in allen Betrachtungen hoͤchst-bedaurenswuͤrdige Gegenstaͤnden ganz hilflos gelassen worden, und mithin, weil niemand Hand anlegen
wolte, obgleich sie nach grosser Vermuthung leicht haͤtten gerettet werden koͤnnen, zu Grund gehen muͤssen.
Es ergehet demenach an alle Unsere Angehoͤrige das ernstgemeinte Landesvaͤtterliche Ansinnen und Befehl, die pflichtmaͤßige Erfuͤllung dieser dem Christen und dem Menschenfreund so wuͤrdigen Obliegenheit sich bestens angelegen seyn zu lassen, und bey allen Gelegenheiten, welche Gott gnaͤdig abwenden wolle,
dergleichen Verungluͤckten mit moͤglichster Thaͤtigkeit, und gaͤnzlicher Befolgung Unserer vormals dießfalls in den Druck gegebenen, nun wieder
erneuerten Anleitung1 beyzustehen, und zu ihrer Rettung kraͤftigst zu verwenden, mit wiederholt beygefuͤgter Versicherung, daß dem oder denjenigen, so durch ohnwiedersprechliche Beweisthuͤmmer darthun koͤnnten, daß sie einen solchen armen Menschen errettet haben, so wol als auch
besonders denen Land-Chirurgis, welche nach der in mehrgedachter Anleitung vorgeschriebenen Methode ertrunkene- oder andere verungluͤckte
Personen wiederum hergestellt zu haben, sattsam bescheinen koͤnnten, (woruͤber aber jedesmal von Unseren eigens verordneten Sanitaͤt-
Raͤthen eine sorgfaͤltige Untersuchung vorgenohmen werden solle) eine angemessene Belohnung werde ertheilt werden.
Wir versehen Uns,
daß maͤnniglich sich die Befolgung dieser Unserer einig auf das Wohlseyn der Unserigen abzweckenden bestgemeinten Landesvaͤtterlichen Verordnung bestens angelegen seyn lassen, und zur Erzielung dieser heilsamen Absichten mitzuwuͤrken sich befleissen werde.

Geben Mittwochs den 22. Tag Heumonats, nach Christi Unsers Erloͤsers Gnadenreichen Gebuhrt gezehlet,
Eintausend, Siebenhundert, Siebenzig und Acht Jahre
Date : 22.07.1778
.
Canzley der Stadt ZuͤrichLieu : Organisation : .
[fol. v]Saut de page

Annotations

    1. Es handelt sich um die Anleitung betreffend Hilfeleistung bei verunglückten Personen von 1766 (StAZH III AAb 1.13, Nr. 2).