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SSRQ ZH NF I/1/11 60-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, par Sandra Reisinger

Citation : SSRQ ZH NF I/1/11 60-1

Licence : CC BY-NC-SA

Verordnung der Stadt Zürich betreffend Massnahmen beim Auftreten der Viehseuche Zungenkrebs

1763 août 24.

Der Sanitätsrat der Stadt Zürich erlässt aufgrund der Verbreitung des Zungenkrebses beim Vieh auf der Landschaft eine Ordnung mit 13 Artikeln. Wenn in einem Dorf der Landschaft die Viehseuche auftritt, dann sollen die umliegenden Gemeinden nicht nur gewarnt, sondern dort auch zwei Männer erwählt werden, welche die Zungen von jedem Tier zweimal täglich kontrollieren sowie die Lagerung und Austeilung der vorgeschriebenen Medikamente überwachen (I-III). In Dörfern, in denen die Viehseuche ausgebrochen ist, müssen die Viehzungen alle drei Stunden kontrolliert werden (IV). Ausserdem wird verordnet, dass ein Tagebuch geführt werden soll, aus welchem jede Woche ein Auszug an den Examinator Johann Jakob Hottinger geschickt werden muss. In ausserordentlichen Fällen soll der Bericht so schnell wie möglich an den Sanitätsrat geschickt werden (V, VI). Die betroffene Gemeinde wird zum Sperrgebiet erklärt. Kranke Tiere müssen isoliert werden, die anderen Tiere dürfen nicht ausserhalb der Grenzen des Dorfes oder auf gemeine Weiden gebracht werden. Bei der Arbeit auf dem Feld sollen die gesunden Tiere nicht überanstrengt werden. Ihre Zungen sollen alle drei Stunden besichtigt werden (VII). Die Einfuhr von fremdem Vieh ist nur mit Sanitätsscheinen und der vorgängigen Besichtigung der Zunge erlaubt (VIII). Daran müssen sich auch alle Metzger halten. Winkelmetzger (Kaffler) sind grundsätzlich verboten (IX). In Dörfern, wo die Seuche ausgebrochen ist, darf Vieh nicht geschlachtet und die Milch von kranken Kühen nicht verwendet werden. Kranke Tiere, die trotz Behandlung sterben, sollen mit Ausnahme der Haut, die dem Eigentümer gehört, nach dem Tod vergraben werden (X, XI). Die Preise der Medikamente werden festgesetzt, woran sich alle Apotheker und Krämer zu halten haben (XII). Zuletzt wird im Hinblick auf den kommenden Markt in Zurzach darauf hingewiesen, dass das Vieh bei Transporten nicht überlastet werden soll (XIII).

Tierkrankheiten wurden in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen ZürichsLieu : häufig unspezifisch als «Viehseuchen» oder «Viehpresten» bezeichnet. Ausserdem verwendete man für unterschiedliche Infektionskrankheiten manchmal denselben Begriff. So handelte es sich beim sogenannten Zungenkrebs entweder um den Zungenmilzbrand oder aber um die Maul- und Klauenseuche. Diese beiden einander sehr ähnlichen Krankheiten wurden erst zu Beginn des 19. Jahrhundert diagnostisch differenziert. Laut Jost Bühlmann handelte es sich beim Zungenkrebs in der SchweizLieu : vor 1800 jedoch meistens um die Maul- und Klauenseuche (Bühlmann 1916, S. 11). Die Krankheit zeigte sich darin, dass beim Vieh weisse, bohnengrosse Blattern an der Zunge auftauchten, was unbehandelt innerhalb eines Tages zum Tode führte. Schnitt man die Blattern hingegen auf und wusch sie aus, konnte das befallene Tier meist geheilt werden.

Anfang der 1730er Jahre zeigte sich der aus SüdfrankreichLieu : eingeschleppte Zungenkrebs in einer ersten Welle auf eidgenössischemLieu : Gebiet, was zur Publikation zahlreicher obrigkeitlicher Mandate führte (von ZürichLieu : beispielsweise aus dem Jahr 1732, StAZH III AAb 1.10, Nr. 2). Ausserdem wurden Anleitungen verfasst, die Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente beinhalteten (vgl. die Anleitung von 1732, StAZH III AAb 1.10, Nr. 3). Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde zudem der Viehhandel verstärkt kontrolliert. In ZürichLieu : erfolgte 1760 die Einführung der obligatorischen Gesundheitsscheine, womit nachgewiesen werden musste, dass das zu verkaufende Tier aus seuchenfreien Gebieten kam (vgl. die Verordnung und Anleitung von 1760, StAZH III AAb 1.12, Nr. 27). Zuständig für die Ausarbeitung von Anleitungen und Mandaten war der SanitätsratOrganisation : , der seit dem 16. Jahrhundert für die Prävention von Seuchen bei Mensch und Tier verantwortlich war (vgl. das Pestmandat von 1713: SSRQ ZH NF I/1/11, Nr. 38). Um eine reibungslose Durchführung zu gewährleisten, liess der SanitätsratOrganisation : im Jahre 1760 3000 Exemplare der Gesundheitsscheine, 600 Exemplare der Verordnung und 300 Exemplare der Anleitung drucken (StAZH B III 234, S. 21).

Im Januar und Februar des Jahres 1763 schlug ein Ausschuss des Sanitätsrats den restlichen Mitgliedern vor, dass man anhand eines Fragebogens für die Land- und Obervögte sowie mithilfe von Visitationen auf der Landschaft den Zustand des Viehs und die Einhaltung der Anleitung von 1760 überprüfen könne (StAZH B III 234, S. 98-100). Nachdem die Vorschläge in einer Sitzung vom 29. Mai zunächst aufgeschoben wurden (StAZH B III 234, S. 106), erfolgte Anfang Juli «eine in sanitätsachen ganz neüe epoche» (StAZH B III 234, S. 113). Dies hing damit zusammen, dass zahlreiche eidgenössischeLieu : Orte der Stadt ZürichLieu : schriftlich mitteilten, dass der Zungenkrebs wieder aufgeflammt sei. Am 9. August erliess der ZürcherLieu : SanitätsratOrganisation : die Verordnung, dass eine neue, von Stadtarzt Hans Caspar HirzelPersonne : entworfene Anleitung und Ordnung so schnell wie möglich publiziert werden sollte (StAZH B III 234, S. 137-138). Am 24. August 1763 wurde ausserdem festgehalten, dass ein vorgedruckter Fragebogen bezüglich Zustand der Viehseuche gedruckt werden musste und zusammen mit der vorliegenden Ordnung, der Anleitung und einem Schreiben an alle Ober- und Landvögte sowie an die Orte BernLieu : , BaselLieu : , FreiburgLieu : und SchaffhausenLieu : gesendet werden sollte (StAZH B III 234, S. 148 und StAZH B III 241, S. 85).

Zu den Viehseuchen in der EidgenossenschaftLieu : und in ZürichLieu : im 18. Jahrhundert vgl. HLS, Viehseuchen; Bühlmann 1916; Wyss 1796, S. 276-281.

Texte édité


Ordnungen,
welche bey dem
graßierenden Zungen-Krebs
sollen beobachtet werden

Xylographie
ZuͤrichLieu : , 1763Date : 1763.
[fol. 1v]Saut de page

Nachdem Wir vernehmen muͤssen, daß die graßierende Viehseuche des
fliegenden Zungen-Krebs, wirklich in Unserer Landschaft eingerissen
seye, haben Wir noͤthig erachtet, folgende Ordnungen vorzuschreiben, bey deren geflissenen Beobachtung, unter Mitwuͤrkung Gottes Segen,
diese Seuche eben so unschaͤdlich vorbeygehen wird, wie Anno 1732Date : 1732 und auch
dieses Jahr an den angraͤnzenden Orten wahrgenommen worden.

I. So bald die Seuche in einem Dorf verspuͤhrt wird, sollen die
Vorgesezten in allen angraͤnzenden Gemeinden solches bekannt machen,
und also ihre Nachbarn verwahrnen.

II. Wann eine Gemeind auf solche Weis verwahrnet worden, sollen
in derselbigen alsobald zweyQuantité : 2 vernuͤnftige Maͤnner verordnet werden, unter
deren Aufsicht alle Tag zweymahlQuantité : 2 allem Vieh die Zunge soll besichtiget
werden.

III. Diesen Maͤnneren soll auch obliegen, in einem besonders dazu
ausgewehlten Hause die in der getrukten Anleitung1 zur Cur vorgeschriebne
Arzneyen unter ihrer Aufsicht verfertigen zu lassen; selbige denjenigen, so
solcher benoͤthiget, und wenn sie keinen besonderen Vieh-Arzt gebrauchen
wollen, auszutheilen, auch die noͤthigen Erlaͤuterungen zu geben, wie sie damit in Besorgung des kranknen Viehes zu Werk gehen muͤssen; uͤber dieses geflissen zu wachen, daß nichts wider Unsere Verordnungen gehandlet
werde, und in solchem Fall die Fehlenden zu verdienter Straff zu leiden.

IV. Wenn die Seuche wuͤrklich in einem Dorf eingerissen, muß die
Besichtigung der Zunge unter allem Vieh alle drey StundenDurée répétée : 3 heures vorgenommen werden.

V. Von dem Schulmeister im Dorf, oder einem anderen hierzu geschikten Mann soll ein Tagbuch gefuͤhrt werden, darinnen alle TagDurée répétée : 1 jour ver[fol. 2r]Saut de pagezeichnet werden soll, zu welcher Zeit und auf was Weis jedes Stuk angegriffen worden. Was man damit vorgenommen, ob es von einem Vieharzt, oder den bestellten Aufsehern nach der getrukten Anleitung besorgt
worden, und mit was fuͤr Folgen die Cur begleitet gewesen.

VI. Aus diesem Tagbuch soll alle WochenDurée répétée : 1 semaine ein Auszug in die besonders hierzu getrukte Berichte2 eingetragen werden, welche man am Ende
der Wochen an TitChangement de policeTitulierten Herrn ExaminatorChangement de police HottingerPersonne : uͤberschiken muß, es
waͤre denn Sach, daß etwas ausserordentliches vorfiele, in welchem Fall
ein Expresser mit einem Bericht hieher zu schiken ist.

VII. So bald man die Krankheit an einem Stuk Vieh wahrnimmt,
soll es von den gesunden abgesoͤndert gehalten werden. Das gesunde soll
anbey im Bann bleiben, bis Wir solchen wieder aufzuheben dienlich finden.
Diser Bann soll darinn bestehen, daß kein Vieh ausser die Graͤnzen des
Dorfes, oder auf gemeine Weidgaͤnge, getrieben werden doͤrfe, da hingegen erlaubt wird, mit dem gesunden Vieh das Feld zu bauen, doch mit
allmoͤglicher Vorsicht, daß das Vieh nicht zusehr erhizt werde, auch daß
man nicht unterlasse, bey der Arbeit, alle drey StundenDurée répétée : 3 heures die Zungen zubesichtigen.

VIII. Es soll kein fremdes Vieh durch irgend ein Dorf durchgelassen werden, es seye dann mit authentischen Sanitaͤts-Scheinen versehen,
und an der Zunge besichtiget worden.

IX. Dieses muß auch fuͤrnehmlich in allen ehehaften Mezgen beobachtet werden, da uͤbrigens alles Kafflen und Winkel-Mezgen bey hoͤchster
Straffe verbotten seyn solle.

X. In einem von der Seuche angestekten Dorffe soll, die ehehaften
Mezgen ausgenommen, weder gesundes noch krankes Vieh, so lang der
Bann daurt, geschlachtet werden doͤrfen, weil man allbereits wahrgenommen, daß die Leuthe zuweilen aus Forcht sich dadurch selbst Schaden zufuͤgen. Man soll also bey erzeigender Krankheit die Cur, oder den Tod gedultig erwarten, welcher niemahl vorkommen wird, wenn man die gegebenen Anleitungen fleißig befolgt. Sollte aber durch einen unerwarteten
Zufall ein Stuk Vieh verreken, so soll solches nach abgezogener Haut ganz
verlochet werden, die Haut aber dem Eigenthuͤmmer zudienen.
[fol. 2v]Saut de page

XI. Alle Milch von kranknen Kuͤhen muß weggeschuͤttet werden. Auf
dieses sollen die Aufseher besonders Achtung geben, und keine Kuh melken
lassen, bis ihr vorhin die Zunge besichtigt, und sie gesund erfunden worden.

XII. Haben Wir zum Besten Unserer lieben Angehoͤrigen, die in der
Anleitung enthaltenen Arzneyen taxieren lassen, wornach sich alle Apothequer und Kraͤmer zu Stadt und Land zu richten haben.
fl ß
Angeliken-Wurzlen, das PfundPoid : 1 livre à 1Unité monétaire : 1 florin
Bibernell-Wurzlen. 20Unité monétaire : 20 sous/sols .
Meister-Wurzlen. 20Unité monétaire : 20 sous/sols .
Campfer. 3Unité monétaire : 3 florins . 20Unité monétaire : 20 sous/sols .
Schwarzer Pfeffer. 32Unité monétaire : 32 sous/sols .
SpannischenLieu : Pfeffer. 20Unité monétaire : 20 sous/sols .
Allaun. 10Unité monétaire : 10 sous/sols .
Blauen Vitriol. 30Unité monétaire : 30 sous/sols .
Ein Maaß HonigMesure de volume : 1 mass miel . 1Unité monétaire : 1 florin . 10Unité monétaire : 10 sous/sols .
Salpeter. 20Unité monétaire : 20 sous/sols .
Geraspelt Hirschenhorn. 16Unité monétaire : 16 sous/sols .
Schwefel. 8Unité monétaire : 8 sous/sols .

XIII. Endlich koͤnnen Wir nicht umhin die Wahrnung zu wiederholen, daß man bey dieser Jahrs-Zeit, sonderlich bey Anlas des bevorstehenden ZurzacherLieu : -Markts, auch mit Salz- und andern Fuhren, das
Vieh nicht, nach der eben so schaͤndlichen als schaͤdlichen Gewohnheit,
uͤbertreibe, und dardurch uͤber alle Maaß erhize, da davon oft mehr
Schaden als von den gefaͤhrlichsten Seuchen entstehet, und das Vieh zu
hizigen Krankheiten geneigt wird.
Geben, den 24. Augstmonat,
1763
Date : 24.08.1763
.
Praͤsident und Sanitaͤt-Raͤthe
der Stadt ZuͤrichLieu : .

Annotations

    1. Gemeint ist die Anleitung betreffend Heilung des Zungenkrebs bei Pferden und Hornvieh vom 11. August 1763 (StAZH III AAb 1.12, Nr. 51).
    2. Ein Exemplar dieses vorgedruckten Formulars findet sich im Anschluss an StAZH B III 234, S. 148.