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SSRQ ZH NF I/1/11 1-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, par Sandra Reisinger

Citation : SSRQ ZH NF I/1/11 1-1

Licence : CC BY-NC-SA

Eheordnung und Ehegerichtsordnung der Stadt Zürich

1525 mai 10.

Um die fremde Ehegerichtsbarkeit auf Zürcher Gebiet zu beseitigen, erlassen Bürgermeister sowie Grosser und Kleiner Rat der Stadt Zürich 1525 die erste Eheordnung. In der Einleitung wird zunächst die Organisation (Besetzung, Gerichtstage, Gerichtsort, Siegel) festgelegt, dann beginnt die eigentliche Satzung (1), worin Bedingungen der Eheschliessung und Ehehindernisse aufgeführt sind. Als nächstes folgen die Ausnahmen (2), die das Mindestalter der Ehepartner, vorehelicher Geschlechtsverkehr sowie die Verhinderung von Betrugsfällen beinhalten. Der letzte Teil der Satzung (3) nennt Trenn- und Scheidungsgründe, worunter der Ehebruch als wichtigster Grund zählt. Vorgetäuschter Ehebruch zum Zweck der Ehescheidung ist allerdings verboten. Weiterhin werden die Straf- und Entscheidungskompetenz zwischen Kirche und Obrigkeit geregelt. In Fällen von Impotenz sollen die Ehepartner ein Jahr beisammen wohnen und sich sonst neue Ehepartner suchen. Bei schlimmeren Delikten als Ehebruch, wie beispielsweise Ehegewalt mit Lebensgefährdung, dürfen die Eherichter situativ entscheiden, haben sich allerdings gegenüber Gott zu verantworten. Die Eheordnung endet mit der Aufforderung, dass alle Pfarrer die Eheordnung in ihren Kirchen verkünden sollen.

Nach Einführung der Reformation und dem Bruch mit dem für ZürichLieu : zuständigen Bischof von KonstanzLieu : gelangte die Ehegerichtsbarkeit in die Kompetenz der ZürcherLieu : ObrigkeitOrganisation : . Aus diesem Grund schuf eine achtköpfige Kommission 1525 die vorliegende Ehegerichtsordnung, die dann am 5. Juni 1525 um drei Artikel ergänzt wurde (Egli, Actensammlung, Nr. 736). Die Eheordnung vom 14. Juli 1526 (ZBZ Zwingli 280) fasst die beiden vorherigen Ordnungen zusammen. Als Ergänzung wurde 1527 eine weitere Ordnung gedruckt (StAZH III AAb 1.1, Nr. 2). Schliesslich erliessen der Bürgermeister sowie Grosser und Kleiner Rat der Stadt ZürichLieu : Organisation : am 23. April 1530 eine zusammenfassende und erweiterte ausführliche Ehegerichtsordnung (StAZH III AAb 1.1, Nr. 18). 1533 kam es zur Zusammenkunft der Orte ZürichLieu : , BaselLieu : , BernLieu : , SchaffhausenLieu : und St. GallenLieu : , um das Eherecht für die EidgenossenschaftLieu : zu vereinheitlichen. Nach Verhandlungen wurde beschlossen, die neue übergreifende Ordnung nicht zu drucken, sondern nur dem RatOrganisation : und dem EhegerichtOrganisation : je eine Abschrift zu überlassen und weitere Kopien zu verbieten. Somit war die zürcherische Ehegesetzgebung um 1533 abgeschlossen und wurde erst im Rahmen der Ehegerichtssatzung von 1698 erneuert (StAZH B III 62).

Die Eheordnung ist in zwei Druckversionen erhalten. Die Exemplare StAZH III AAb 1.1, Nr. 1; ZBZ Ms J 230,3 und ZBZ III N 136,5 unterscheiden sich von den Exemplaren ZBZ Zwingli 50.1; ZBZ Zwingli MvK A 40,6; ZBZ Ms S 14,1 und ZBZ Ms J 230 [Nr. 3] in Orthographie, Interpunktion, Wortabständen, Zeilenabständen und Buchstabentypen.

Zur Geschichte des EhegerichtsOrganisation : vgl. Grünenfelder 2007; Kilchenmann 1946; Rost 1935 und Köhler 1932. Zu den einzelnen Druckversionen der Eheordnung 1525Date : 1525 vgl. Spillmann-Weber 1997, S. 56-57 und S. 122-123.

Texte édité


Ordnung und ansehen / wie
hynfür zuͦ ZürichLieu : in der Statt
über Eelich sachen gericht sol werden

Xylographie1

Getruckt zuͦ ZürichLieu d’origine : / durch
Johansen HagerPersonne : a b–
Anno 1525Correction par-dessus, remplace : 0dCorrection par une main du XVIIIe siècle à la hauteur de la ligne, remplace : 1599c–b
[fol. 1v]Saut de page
Wir der Burgermeister / radt
und der groß Radt / so man nempt die zweyhundert der Statt ZürichLieu :
Organisation :
/ Embieten allen und jeden Lütpriesteren / Pfarreren / Seelsorgeren und Predicanten / ouch allen Obervoͤgten / Undervoͤgten / Amptlüten / unnd sust mengklichem / so in
unseren stetten / Grafschafften / herschafften / hochen
und nidren gerichten / unnd gebieten / verpfruͦndt /
wonhafft und gesessen sind / Unsern gruͦß / günstigen
und geneigten willen. Und thuͦnd üch berichten / als
ouch sust jederman bißhar gesehen und befunden hat
wie vil und mengerley zuͦsprüchen und irrungen ufferstanden sind in Eelichen sachen: Darumb die parthyen für und für einandren gen CostentzLieu : 2 / oder andere froͤmbde gericht geladt / und mit mercklichem grossen kosten gerechtvertiget. Da selbs sy ouch je zuͦzyten
nach dem die lüt anzytlichem guͦt hablich gewesen (unsers bedunckens) eben gevarlich unußgericht / uffgehalten sind etcAbréviation. Und da mit soͤlicher grosser kost / muͤy
und arbeit / zwüschend üch mans und wybs personen
so also der Ee halb / an einandren ze sprechen habend
und in unseren gebieten / hohen und nidren gerichten
gesessen und won hafft sind / hingelegt / abgethon / und
für kummen / ouch menklich unverzogenlich mitt recht
gefertiget werde. So haben wir diß nachvolgend gemein satzungen von der Ee wegen / geordnet / angesehen. Ouch die zuͦminderen / ze meren oder gar hyn ze
thuͦn: Ein zyt lang ze uͤben / angenommen. Und ob von
unsern getrüwen lieben EydgnossenOrganisation : / uss welchem Ort
das waͤre / etwan parthyen kemind / die umb des minsten kostens willen / by uns in Elichen sachen dz recht
suͦchen und bruchen weltind. Wenn dann die selben bed [fol. 2r]Saut de page
parthyen / jede von ir oberkeit / brieff und sigel bringend
das inen soͤlich recht an ze nemen verwilliget sye / so soͤllend sy umb sunderer früntschafft willen / angenomen
werden / und man inen das recht in aller gestalt wie den
unseren / ergon lassen / und sust sich niemans ussert unser Statt ZürichLieu : gebieten gesessen / beladen.

Und damit soͤlcher gerichtshandel fürderlich / als
die noturfft hoͤischt / geuͤbt werde / haben wir zuͦ Richteren verordnet sechsQuantité : 6 man / namlich zwenQuantité : 2 von den Lütpriesteren in unser Statt / die des goͤtlichen worts bericht / Item zwenQuantité : 2 uß dem kleinenOrganisation : / und zwenQuantité : 2 uß unserem
grossen RaͤdtOrganisation : . Under denen allen sol einer zwen MonatPériode : 2 mois Obman oder Richter sin / beruͤffen / gebieten / versamlen / anfragen / und soͤlichen gerichts handel / wie
die noturfft erfordret / uͤben und vollstrecken.

Was die nach ynnhalt der nachgeschribnen articklen
und satzungen / richtend unnd sprechend / dar by sol es
blyben. Ob aber etwar der unseren ann anderer welte
appellieren / das sol niendert hin anders / denn für ein
Ersamen RadtOrganisation : in unser stat ZürichLieu : gezogen werden.

Die gerichts tag werdend und soͤllend sin / am mentagDurée répétée : 2 semaines und donstagDurée répétée : 5 semaines.

Des gerichts platz oder statt / werdend die Richter
erwellen und anzeigen. Also wenn es eins geschlagen
hat nach mittag
Heure : 13:00
/ das dann die Richter / Notarius oder
schriber / des gerichts weibel / und wer zum gericht dienet / by iren Eyden da selbs sin soͤllend / und wie sich gebürt / helffen handlen. Ob aber etlicher der stat unnd
andrer eehafften sachen halb / nit moͤchte da sin / denn
sol unser Burgermeister durch den weibel / einen anderen dar geben und gebieten lassen.

Und welcher je zuͦ zyten Richter ist / der sol des gerichts eigen ynsigel haben / und durch den weybel von [fol. 2v]Saut de page
mund oder mit briefen / tagsatzung und gebott thuͦn /
allweg by guͦter zyt.

Er sol ouch die sachen so für inn kummend / und vorbetrachtung oder beratens bedoͤrffen / über acht tagPériode : 8 jours nit
verziehen oder uff halten / damit die lüt fürderlich zuͦ
oder von einandren gefertiget werdind.


Hie volgend die Artickel und satzungen
die Ee betreffend

Für das erst ein gemeine satzung / Das nieman
in unser statt und land die Ee beziehen soͤlle / one bywesen und gegenwürtigkeit / zum minsten zweyerQuantité : 2 frommer Ersamer unverworffner mannen.


Erklaͤrung diser satzung

Es sol aber nieman dem andren die sinen vermaͤhlen / verpflichten / oder hingeben / one gunst / wüssen und
willen vatter muͦter / voͤgten / oder deren denen die kind
stond ze versprechen. Wer aber das übergienge / sol gestrafft werden / nach gestalt der sach / und die Ee nüt
gelten.
Damit nun die Ee nit ungemeiner / denn vor / gemacht werde / so sol kein Ee hafften die ein kind bezuge
hinder obgemelten sinem vatter / muͦter / voͤgten / oder
verwalteren / wie die genempt sind / ee dann es voͤllenklich nünzehen jarenÂge : 19 ans alt sye. Geschehe es aber vor disen jaren / so moͤgends die genanten sin vatter etcAbréviation. hinderen und vernütigen.
Wo aber die selben sümig waͤrind / und ire kind nitt
versaͤhind innerthalb den .xix. jarenÂge : 19 ans / so moͤgend sy sich
darnach mit gots hilff / selbs / von yederman ungehindret und on alle engeltnus verheinraten und versorgen.
[fol. 3r]Saut de page
[Note dans la marge de droite :]
Dise artikel
treffend einander / das
die ee mit inELecture incertainee
als gemein
als vor sin
wirt und vil
ruͤwiger.

Es sol ouch weder vatter / muͦter / anwalten / noch
nieman / ire kind zwingen oder noͤten zuͦ keiner Ee / wider iren willen / zuͦ keinen zyten. Wo aber das geschaͤhe und rechtlich geklagt wurde / sol es nüdt gelten / und
die übertretter gestrafft werden.
[Note dans la marge de droite :] Levitici 18

Die Ee ze beziehen oder gmachte Ee / wie recht ist
und obstat / sol hin für nüt mee hinderen noch zertrennen / keinerley grad / glyd / noch ander sachen / denn die
in der goͤtlichen gschrifft Levitici .xviij.Quantité : 18 klarlich ußgetruckt werdend.3
Und was bißhar mit dispensieren und umb gelt erlangt worden ist / sol alles uß sin / und nit me irren.

Ußnemung von dem gesatzt

Wenn zweyQuantité : 2 einandren nemid die fry waͤrind / und
nieman hettind dem sy zuͦ versprechen stuͤndind / oder
der sich iren annem / und sy einandren gijchtig sind / die
soͤllend einandren halten. Doch sol das meitly über xiiijÂge : 14 ans
und der knab über .xvj. jarÂge : 16 ans sin.
Wo sy aber einandren abred sind / unnd kein kundtschafft hand / nach lut des obgeschribnen gesatztes / so
wirdt es nüdt gelten / darnach wüsse sich jederman ze
bewaren sorg zehaben / und sich vorschanden und schaden ze huͤten.
[Note dans la marge de droite :] Exodi .22.
So aber einer ein tochter / magt / oder jungfrow
verfelt / geschmaͤcht / oder geschwecht hette / die noch /
nit vermaͤchlet were / der sol iro ein morgengab geben
und sy zuͦ der Ee han.4 Wend ims vatter unnd muͦter /
voͤgt / oder verwalter / nit lon / so sol der secher die tochter ußstüren / nach der oberkeit erkantnus.
Und ob jeman sich des andren gefarlich und zuͦ uffsatz beruͦmen wurd / und sich soͤmlichs offenlich erfunde das sol hoch gestrafft werden.
[fol. 3v]Saut de page
Item argwon / hinderred / betrug zevermyden / so
wellend wir das ein jetliche Ee / die rechtlich bezogen
ist / offentlich in der kilchen bezügt und mit der gmeind
fürbitt zesamen werde gegeben. Ouch sol ein yeder
Pfarrer soͤmlich personen all anschryben und uff zeichnen / und keiner dem andren sine underthonen zuͦ fuͤren
one sin gunst und offenlichen kuntlichen willen.


Was ein Ee zetrennen moͤg
oder scheyden

Es zimpt einem frommen Eemenschen / das kein ursach dar zuͦ geben hat / das ander so an offenlichem eebruch ergriffen wirt / von im zestossen / gar verlassen
und sich mit einem andren gemahel ze versehen.
Dißnennend aber wir und achtend ein offnen Eebruch / der vor dem EegrichtOrganisation : mit offner gnuͦgsamer
kundschafft / wie recht ist / erfunden und erwyßt / oder
an offner that so baͤrlich und argwenig wirt / das die
that mit keiner gstalt der warheit mag verleugnet
werden.
Die wyl aber dem Eebruch nitt gelimpffet werden sol / und nieman ursach suͦchen zuͦ einer nüwen Ee
durch eebrechen zekummen / wirt not sin das man ouch
ein herte straff uff den eebruch setze / denn er ouch imm
alten Testament by versteinung was verbotten.
Uff soͤlich werden die Pfarrer denen das gots wort
und uffsehen bevolhen ist / soͤmlich übertretter mit der
Christenlichen gmeind Bannen und ußschliessen. Aber
die lyplich straff und mit dem guͦt ze handlen / der oberkeit heim setzen.
Das aber nieman uß soͤlichen ursachen ab der Ee
schühen welte / unnd in huͦry sich verligen soͤllend die
selben ouch / als jetz gemeltd / gebannet werden.
[fol. 4r]Saut de page
So nun die Ee von got yngsetzt ist / unküschheit ze
vermyden. Und aber dick erfunden werdend / die von
natur oder andren gebresten / ungeschickt oder unmügend sind zuͦ Elichen wercken / soͤllend sy nüt destminder
ein jarPériode : 1 année früntlich by einandren wonen / ob es umb sy besser wurde / durch ir und andrer biderberlüten fürbitten
willen. Wirt es nit besser in der zyt / sol man sy von ein
andren scheiden / und anderschwo sich vermaͤhlen lassen.
Item / groͤsser sachen denn Eebruch / als so eines
das leben verwurckte / nitt sicher vor einandren waͤrind / wuͦtende / unsinnige / mit huͦry tratzen5 / oder ob
eines das ander unerloubt verliesse / lang uß waͤre /
ußsetzig / und der glychen / darinn nieman von unglyche der sachen / kein gwüß gsatzt machen kan. Moͤget
die Richter erfaren und handlen / wie sy gott und gestalten der sachen werdend underwysen.
Dise satzungen soͤllend alle Pfarrer flyßlich unnd
zum dickeren mal den iren verkünden und warnen.
Datum zuͦ ZürichLieu d’origine : / uff Mitwochen
am .x. tag des monats Mey.
Anno M.D.xxv.
Date : 10.05.1525
[fol. 4v]Saut de page

Annotations

  1. Ajout en bas de page par une main du XVIe siècle :
    MDXXV
    Date : 01.01.1525 – 31.12.1525
    .
  2. Ajout en bas de page par une main du XVIIe siècle.
  3. Correction par une main du XVIIIe siècle à la hauteur de la ligne, remplace : 1599.
  4. Correction par-dessus, remplace : 0.
  5. Lecture incertaine.
  1. Faksimilie und Beschreibung des Holzschnitts vgl. Zürcher Kirchenordnungen, Bd. 2, S. 1359.
  2. Im Spätmittelalter forderte der ZürcherLieu : RatOrganisation : seine Bürger ausdrücklich auf, Ehesachen an das bischöfliche GerichtOrganisation : in KonstanzLieu : zu tragen (Matter-Bacon 2016, S. 42-43).
  3. Hier wird auf die Bibelstelle Levitikus 18,6-18 Bezug genommen, wo es um sexuelle Vorschriften unter Verwandten geht.
  4. Hier wird auf die Bibelstelle Exodus 22,16-17 Bezug genommen, wo vorehelicher Geschlechtsverkehr und die Morgengabe thematisiert werden.
  5. Der Ausdruck «mit huͦry tratzen» wird in der Forschung unterschiedlich ausgelegt. Laut Kilchenmann 1946, S. 26-31 könnte es sich dabei um Kränkung des Ehepartners durch wiederholten Ehebruch handeln, allerdings ist eine endgültige Deutung nicht gesichert.